Fantasybuch Rezension “Der Talisman” von Stephen King und Peter Straub (1984)

Der Talisman vom Autorenduo Stephen King und Peter Straub gehört zu jenen King-Büchern, die eher quälend lange sind, denn spannend kurz. Zu sehr wiederholt sich King in diesem Buch, zu wenig Neues scheint Straub beisteuern zu können. Der Roman gehört grob zum Genrebereich der Fantasyliteratur und ähnlich wie “Die Augen des Drachen” aus dem Jahr 1987 finde ich einfach, daß King in diesem Sektor nicht sein wesentliches Talent hat (wobei der Roman immerhin noch besser ist, als der drei Jahre später erschienene). Interessant ist immerhin die Grundidee.

Stephen King & Peter Straub "Der Talisman" (1984), CropTop

Stephen King & Peter Straub „Der Talisman“ (1984), CropTop

Warum geht es?

Stephen King & Peter Straub "Der Talisman" (1984), Buchdeckel

Stephen King & Peter Straub „Der Talisman“ (1984), Buchdeckel

Die Grundidee an und für sich ist recht interessant. Demnach gibt es eine Unzahl an Parallelwelten zu unserer, deren Geschehen im Wesentlichen synchron zu unserer läuft, wenngleich diese anderen Welten auch anders aussehen oder eine andere Ausdehnung haben mögen. Eine dieser Welten stellt die “Region” dar, die in etwa ein mittelalterliches Pendant zu unserer modernen Realität darstellt und in welcher (fast) jede Person aus unserem Universum einen Doppelgänger – den sogenannten “Twinner” – hat; Begabte können zwischen den Welten hin und her “flippen” und landen dabei jeweils im Körper des anderen Ich’s in einer Art Besessenheit, während sich ihr gesamtes Wesen (von Kleidung bis Sprache) jeweils automatisch mit verwandelt.

Beinahe alle haben diese Doppelgänger, außer einigen Wenigen, denen ihre zweite Identität verloren gegangen ist, meist aufgrund eines frühen Kindstodes. So auch bei der Hauptfigur des Buches, dem zwölfjährigen Jack Sawyer, dessen Vater vor Jahren bei einem Jagdunfall starb und der nun mit dem drohenden Krebstod seiner Mutter, einer bekannten B-Film Darstellerin, konfrontiert wird. Verzweifelt wandert er am Strand des Hotels entlang, als er auf den älteren Speedy Parker, einen ehemaligen Jazzmusiker und jetzt Wachmann in einem Vergnügungspark trifft, der ihn in die Region einführt und ihm außerdem in Aussicht stellt, daß er seine Mutter retten kann, wenn er es schafft, den Talisman zu finden.

Wie auch sonst bei Fantasyromanen üblich, besteht nun der Rest und damit Großteil des Buches darin, das Objekt der Begierde zu suchen und eine mehr oder minder spannende Reise mit allen möglichen seltsamen Wesen und Landschaften hinter sich zu bringen. Wie auch bei anderen “Der Herr der Ringe“-Varianten ist das Ziel relativ vorgegeben, nämlich ein Hotel im fiktiven Point Venuti/Kalifornien, das “Schwarze Hotel” und der Start per se durch den Ist-Standort, nämlich das Hotel Alhambra in Hampton/New Hampshire. Und natürlich findet Jack letztlich den Talisman, bezwingt alle seine Gegner und rettet seine Mutter. Ironischerweise sei am Rande angemerkt, daß sich – ebenfalls ähnlich zu Tolkien – die Hinreise ausnehmend zieht und nur zu Fuß bewältigbar ist – während die Rückreise (in diesem Fall sogar per Auto) relativ zügig vonstatten geht (man fragt sich, warum Jack nicht gleich per Auto nach Kalifornien gefahren ist, aber bitte).

Nicht zufällig trägt die Hauptfigur auch den Namen aus dem Roman “Huckleberry Finn” von Mark Twain, auch ein Zitat finden sich im Prolog des Buches und der Roman schließt schließlich auch unter Nennung von Autor und Hauptfigur des bekannten Buches. Dabei ist die Ähnlichkeit der Freundschaft von Jack mit Wolf bzw. Richard (Talisman) und Jack und Tom (Huckleberry Finn) auch ohne expliziten Hinweis von King offensichtlich.

“Nun, als Tom und ich oben auf dem Hügel angelangt waren, blickten wir hinunter in das Dorf und sahen dort drei oder vier Lichter blinken, wo vielleicht Leute krank waren; und die Sterne über uns funkelten so herrlich; und drunten beim Dorf war der Fluß, eine volle Meile breit und ungeheuer still und großartig.”

Formal besteht das Buch aus vier Teilen:

  1. Teil: Jack bricht auf
  2. Teil: Die Straße der Prüfungen
  3. Teil: Welten im Widerstreit
  4. Teil: Der Talisman

Aus zeitlicher Sicht grenzen King/Straub dabei die Handlung in drei Monaten ab – vom 15. September 1981 bis 21. Dezember 1981. Und auch die Reiseorte sind – im “realen” Universum – immer wieder erkennbar und führen von der in beiden Welten reizvollen Ostküste (die im engeren Sinn die “Region” bezeichnet) über das Grenzland (dem Mittleren Westen der USA), in welchem Morgan herrscht bis hin zum Westen (in der Parallelwelt das zerstörte “Verheerte Land” mit Feuerbällen und mutierten Lebewesen), im Übrigen in etwa jenem Gebiet in welchem Strahlentests in den (realen) USA durchgeführt wurden. Der äußerste Ausläufer schließlich bildet einen wieder erblühten Landesteil und zugleich Höhepunkt des Romans, in welchem alle Protagonisten aufeinandertreffen.

Im Vordergrund stehen insgesamt sicher die beiden Freundschaften mit Richard Sloat, dem Sohn des “Bösewichtes” Morgan Sloat, welcher sowohl der ehemalige Partner von Jacks Vater ist als auch dessen Tod zu verantworten hat und Wolf, ein Werwolf, welchen Jack von der Region bei einem Aufeinandertreffen mit Morgan rettet, indem er ihn die andere Welt mitnimmt, wo er aber letztlich stirbt. In beiden Fällen ist jedoch Jack der stärkere in der Freundschaft und schleppt den jeweiligen Partner eigentlich nur mehr oder minder durch den Roman. Genauso Schwarz-Weiß sind auch die jeweiligen Bösewichter gezeichnet: Morgan Sloat (alias von Morgan Von Orris in der Region), ein Ehrgeizling, der sogar bereit ist, seinen Sohn zu opfern und gefährliche Waffen in die Region überführt und Reverend “Sunlight” Gardener (alias Osmond), die bösartige und sadistische rechte Hand von Morgan, der die meisten Morde vollbringt und in der hiesigen Welt unter anderem ein grausames Kinderheim leitet, in welchem auch Jack schließlich landet. Beide planen durch Einführung von Waffen in der Region die Macht zu übernehmen und betrachten das Paralleluniversum mit den Augen einer Kolonialmacht:

“Wir sprechen von einer Agrarmonarchie, die mit Magie anstelle von Wissenschaft arbeitet. … Und zwar vermutlich schon seit Jahrhunderten. An ihrem Leben hat sich nie viel geändert. … Aber, .. kannst du dir vorstellen, was für einen Riesenreibach wir machen könnten, wenn wir ihnen elektrischen Strom gäben? Wenn wir die richtigen Leute da drüben mit modernen Waffen versorgten?”

iUmgekehrt sind die “guten” Figuren gänzlich und fehlerlos das Gegenteil davon, neben den beiden Freunden vor allem die Mutter von Jack, Lily Cavanaugh Sawyer, deren Twinner in der Region eine echte Königin, Laura DeLoessian, ebenfalls im Sterben liegt und deren Sohn Jason zwar einst starb, aber dessen Platz Jack nun einnimmt.

Einige Details erinnern dabei stark an andere King-Romane: so gibt es auch hier einen väterlichen Freund, wie etwa in “Friedhof der Kuscheltiere” oder zahlreichen anderen King-Publikationen und die Beschreibung von Osmond erinnert unzweifelhaft stark andere Bösewichte (wie etwa Flagg aus “Die Augen des Drachen” bzw. “The Stand“) – beide beschreibt King ziemlich ähnlich, nämlich mit einem ungewaschenen Schweißgeruch, welcher durch Unmengen an Parfum, genauer Kölnisch Wasser übertüncht wird. Ähnlich wie in “Es” beginnt Richard auch schon kurz nach den Ereignissen alles wieder zu vergessen. Eine weniger starke Parallele zeigt sich zu “Shining” in Form von Alkohol durch den “Zaubersaft”, welchen Jack anfangs benutzt, um die Welten zu wechseln und der sich später als simpler Fusel herausstellt. Letztlich ist es vermutlich eher ein Verweis auf King’s Schreibweise bzw. dem Wechsel von King als Person in King als Autor. Und last but not least verewigte King sich selbst im Namen jenes Motels, in welchem Morgan immer gegenüber dem Schwarzen Hotel abstieg – dem Kingsland-Motel.

Der geheimnisvolle Talisman, um den sich schließlich alles dreht, stellt sich zuletzt als eine Art Kristallkugel heraus, der als Zerrbild alle Universen abbildet und vereinigt. Indem Jack die Kugel über kranke Menschen seines Umfeldes rollt, strahlt sie Unmengen von Licht aus und heilt letztlich die Krankheit, worum es sich auch immer genau dabei handelt. Jack’s Vater, Phil Sawyer sah in ihr die Achse aller möglichen Welten, da sie der einzige Gegenstand sei, der in allen Universen immer gleich sei:

“Die Achse aller möglichen Welten. Wie vieler Welten? Das wußte Gott allein. Die amerikanische Region; die hypothetische Region der Region; uns so weiter und so weiter, ein Universum, ein grenzenloser Makrokosmos von Welten – und in allen blieb ein Ding immer dasselbe; eine verbindende Kraft, die unleugbar gut war, auch wenn sie jetzt in einem bösen Ort eingekerkert war; der Talisman, die Achse aller möglichen Welten.”

Nachdem die Kugel die wichtigste Mission, nämlich die Heilung von Jack’s Mutter abgeschlossen hat, verschwindet sie letztlich und schließt damit den Roman etwas überraschend aber nicht untypisch, indem die gesamten Ereignisse damit wieder verschwinden und Jack nicht – wie man auch erwarten könnte – der neue Held und Thronfolger der Region wird.

Mein Fazit

Wie gesagt, insgesamt ein eher mühsames Buch. Interessant ist eher, wie die Zusammenarbeit zwischen den beiden, vereinfacht ausgedrückt, bekanntesten Horror-Autoren der Gegenwart funktioniert hat. In Summe merkt man doch, daß der ganze Roman eher ein Patchwork-Teppich ist, der nicht wirklich funktioniert. Zahlreiche unlogische Handlungsdetails, wie etwa der Umstand, daß Jack’s Mutter allein im Hotel gelassen wird und beinahe an Lungenentzündung stirbt, niemand die Waisen aus dem Kinderheim zu vermissen scheint u.a.m. sind einfach nicht wirklich realitätsnah und eher untypisch für King.

Obwohl ich Straub’s Bücher nicht kenne, verschmelzen die beiden Sprachstile aber zunehmend mit fortschreitender Handlung. Zwar wird es im letzten Teil spannender, wirklich neu sind die Ideen aber nicht und das ewige Suchen nach irgendetwas durch ein paar gedehnte Fantasiewelten finde ich auch nicht wirklich innovativ. Formal hat sich King offenbar ein paar formale Details bei Straub abschauen können, so verwendet er zum ersten Mal Vorschauen (à la “es war das letzte Mal, daß er sie sah”), aber das lässt das Buch auch nicht wirklich besser werden. Übrigens ist die Übermutter nicht nur im Buch selbst ein Thema, beide Autoren haben das Buch auch ihrer jeweiligen Mutter gewidmet.

Verbindungen

Verbindung: “Die Augen des Drachen
Verbindung: “The Stand
Verbindung: “Shining
Verbindung: “Es
Verbindung: “Friedhof der Kuscheltiere
Verbindung: “Der dunkle Turm (Zyklus)
Verbindung: “Das schwarze Haus” (mit Straub)

14 Kommentare

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