Horrorbuch Rezension “Stark – The Dark Half” von Stephen King (1989)

Oh armer Stephen King, oh göttlicher Stephen King, wie leid mir der Gott mit dem dritten Auge doch tut. Sorry, aber das mußte jetzt kurz sein, bevor ich auf das Buch überhaupt eingehen kann. Denn kaum ein Buch von King trieft so vor Selbstbeweihräucherung und gleichzeitig Selbstmitleid wie dieses. Daneben gibt es aber auch noch eine kleine Horrorgeschichte mit (weitgehend) bekannten Elementen.

Stephen King “Stark – The Dark Half" (1989), CropTop

Stephen King “Stark – The Dark Half“ (1989), CropTop

Einleitung

Stephen King “Stark – The Dark Half” (1989), Buchdeckel

Stephen King “Stark – The Dark Half” (1989), Buchdeckel

Es ist das virtuelle Jahr 1989 und King veröffentlicht “The Dark Half”, wie der Roman im Englischen heißt. Die Basiskonstellation ist ziemlich ähnlich wie die beiden zwei Jahre zuvor veröffentlichten Bücher “Sie” (1987) und “Monstrum” (1987): ein Schriftsteller, der mit sich selbst bzw. seinem fiktiven Spiegel-Gegenüber im Kampf liegt.

Gegen Ende vom Tommyknockers-Roman “Monstrum” lässt er sein Alter Ego Gard ja lamentieren über seine geglaubten Homer-Qualitäten, welche denn nun wohl nicht aufgetreten sind, weshalb er dem Alkohol verfallen sei. Und auch beim Kampf mit sich und der Alkohol-Abhängigkeit in Person von der Entführerin Annie in “Sie” meckert er immer wieder über die seinerseits hassgeliebten Belletristik-Bücher rund um Misery, die sich zwar gut verkaufen, aber nur einen unwesentlichen Literaturbeitrag darstellen.

Wie entwickelt man sich in diesem Fall weiter? Vor allem, nachdem einige Jahre zuvor, nämlich 1985, das Pseudonym Richard Bachmann entlarvt wurde, welches dem armen Mann zumindest noch eine etwas andere Schiene als die Horror-Vervielfältigung erlaubte? Man sieht seine eigene Göttlichkeit einfach ein und schreibt einen Roman über die Konfrontation mit seinem eigenen Pseudonym und wie schwer es ist, mit der Dualität bzw. doppelten Realität im Kopf umzugehen. Dementsprechend hat King das Buch auch das Buch seinem Pseudonym selbst gewidmet – so schreibt er in der Vorbemerkung des Verfassers:

“Für seine Mithilfe und Anregung bin ich dem verstorbenen Richard Bachmann Dank schuldig. Ohne ihn hätte dieser Roman nicht geschrieben werden können.”

Im Endeffekt fand ich King- und Bachmann-Bücher nie wirklich sehr unterschiedlich, außer daß es keine Horror-Geschichte als Basis gab und etwaige überirdische Effekte meist in leichte Mystik oder SF-Elemente übergingen. In “Sprengstoff” (1981) beschreibt er den verzweifelten Kampf eines Wäschereiangestellten gegen einen Autobahnbau, in “Der Fluch” (1984) den Versuch eines Übergewichtigen gegen einen Zigeunerfluch der Magerkeit anzukommen und in “Menschenjagd” (1982), den meiner Meinung nach besten Roman des Pseudonyms, den ich gelesen habe, erneut einen Kampf, nämlich jenen eines TV-Game-Teilnehmers gegen seine eigene Tötung.

So war beispielsweise “Sie” (1987), der Roman den King unter seinem eigenen Namen veröffentlicht hat, bei welchem er aber überlegt haben soll, ihn ebenfalls unter dem Pseudonym herauszubringen, ebenfalls horror-frei und durch den Kampf gegen seine Entführerin bzw. seine Alkoholabhängigkeit geprägt. Stark beschreibt (erneut!) einen Kampf, aber nun gleich gegen sein virtuelles Pseudonym, und wiederum mit leicht mystischen Elementen.

Worum geht es?

Im Mittelpunkt des Romans steht der Schriftsteller Thad Beaumont aus Ludlow/Maine, der einige Jahr relativ erfolgreich unter dem Pseudonym George Stark actionreiche Kriminalromane wie ‘Machine’s Way’ veröffentlicht hat. Als sein Pseudonym entdeckt wird, beschließt er selbst an die Öffentlichkeit zu gehen und Stark medienwirksam auf einem Friedhof zu begraben. Damit beginnt allerdings erst die eigentliche Geschichte, denn kurz darauf taucht das Pseudonym nun in der Wirklichkeit auf, gräbt sich aus seinem fiktiven Grab heraus und beginnt auf seinem Weg zu seinem Erschaffer alle Menschen, die an der Aufdeckung des Pseudonyms beteiligt waren, zu ermorden.

Am Ziel angelangt, der Sommerresidenz der Beaumonts in Castle Rock/Maine, hält er schließlich Thad und seine Familie, d.h. seine Frau Liz und seine Zwillinge William und Wendy im Kleinkindalter, inklusive einem Polizisten gefangen und zwingt Thad in seinem Pseudonym weiterzuschreiben bzw. ihm selbst, Stark, das Schreiben beizubringen. Denn ohne diesen Umstand ist er zum Tode verurteilt und beginnt auch körperlich bereits stark zu verfallen, indem sein ganzes Gewebe schlichtweg verfällt. Natürlich gelingt es Beaumont, sein Alter Ego zu überwältigen und Stark entschwindet letztlich.

Nebst diesem Umstand flechtet King noch eine zweite Geschichte rund um den Protagonisten ein: als Baby sei er ein Zwilling gewesen, der seinen Bruder noch im Mutterleib “aufgegessen” bzw. absorbiert hat; nachdem er als Jugendlicher dauernd unter Kopfschmerzen litt, das sich durch das Zwitschern von Sperlingen ankündigte, wird er operiert und es stellt sich heraus, daß Teile seines Bruders – wie etwa ein Auge – noch in seinem Kopf weitergewachsen sind. Als die Elemente entfernt werden, fliegen unzählige “echte” Sperlinge vom Krankenhaus davon. Dieser Vorgang wiederholt sich als Erwachsener, denn die Sperlinge, ein Symbol für die Untoten, fliegen nach Auftauchen von Stark erneut und töten diesen, indem sie ihn schlichtweg fressen. Die anderen Protagonisten überleben zwar, das Haus selbst ist allerdings vollständig zerstört, weshalb sie letztendlich ein täuschendes Feuer entfachen.

“Sperlinge, Seetaucher und vor allem Ziegenmelker sind Psychopompen. … Das Wort kommt aus dem Griechischen … und bedeutet Seelenbegleiter. In diesem Fall solche, die die Seelen der Menschen auf ihrem Weg zwischem dem Land der Lebenden und dem Land der Toten begleiten. Ansammlungen von Sperlingen haben … eine ominöse Bedeutung. (Es heißt), Sperlinge wären die Begleiter der Toten. … Was bedeutet, daß ihre Aufgabe darin besteht, verlorene Seelen ins Land der Lebenden zurückzuführen. Sie sind, mit anderen Worten, die Vorboten der Untoten.”

Am absurdesten ist neben der Selbstbeweihräucherung von King vor allem auch das Verhalten der Figuren rund um den Protagonisten. Die Polizei in Person von Alan Pangborn erzählt dem zunächst als Mörder im Verdacht stehenden Beaumont alle Ermittlungsdetails (wie wahrscheinlich) und kniet geradezu vor dem großen, bekannten VIP. Auch alle anderen Figuren sind eindeutig “eine Stufe unter” dem ach so bewunderten Schriftsteller und scheinen nur zu seinem Zweck zu existieren. Wie auch bei den meisten anderen King-Romanen (im Gegensatz zu Bachmann) wird umgekehrt die Ehefrau Liz wieder einmal zur Superfrau erhoben – stark, schön und überhaupt unfehlbar. Sieht man das Ehepaar in der Realität, klafft hier eine gewisse Lücke, wie ich mir an dieser Stelle zu ätzen erlaube, aber alles ist bekanntlich subjektiv.

Stephen und Tabitha King, (c) http://imgarcade.com

Stephen und Tabitha King, (c) http://imgarcade.com

Formaler Aufbau

Formal gesehen sind, wie auch schon in den Romanen “Sie” und “Monstrum”, immer wieder Auszüge der Stark-Romane im Buch wiedergegeben. Sie sollen wohl den besonders anderen Schriftstellerstil belegen und die Figur Stark stützen, sind aber meist unnötig und mittelmäßig spannend. In jedem Fall haben sie den Roman mit Sicherheit noch einmal ein wenig im Umfang aufgeblasen. An manchen Stellen verwendet King auch wieder seine Verbindungen zu anderen Romanen, so lässt er den Vorgänger des Polizisten Pangborn beispielsweise von einem tollwütigen Hund à la “Cujo” töten oder Thad spricht von einem “Weiterdrehen der Welt” à la “Der dunkle Turm“, insgesamt hielt sich King aber dankenswerterweise eher mit solchen Konstruktionen zurück.

Einzig gemeinsam mit vielen anderen Romanen ist der Standort Castle Rock, in welchem in der zweiten Hälfte der größte Teil der Handlung spielt – diese (fiktive) Stadt, welche meist für Bangor, dem Wohnort von King gehalten wird, findet sich auch bei “Cujo” und vielen anderen Romanen, weshalb zumindest Wikipedia bei diesen Büchern auch von einem “Castle Rock-Zyklus” spricht. Laut Wikipedia wollte King auch wirklich ein Buch mit dem Titel ‘Machine’s Way’ veröffentlichen, nämlich unter dem Pseudonym George Stark, der wiederum ein Pseudonym von Richard Bachmann sein und die Öffentlichkeit damit endgültig verwirren sollte – durch Aufdecken des Bachmann-Pseudonyms ging dieser Plan aber wohl letztendlich schief.

Ansonsten findet sich wieder die übliche Untergliederung in Teile, allerdings findet fast alles im ersten Teil statt und nur die Konfrontation am Ende ist dem zweiten Teil gewidmet:

  1. Prolog
  2. Erster Teil: Metzgerfüllsel
  3. Zweiter Teil: Stark wird aktiv

Mein Fazit

Im Endeffekt geht es im ganzen Roman immer nur um eine Person: King, King, etwas King und da war nochmals King. Der göttliche King, der bewunderte King, der bedrohte King, der vom Horror in seinem Kopf gebeutelte King. Einige Bonmots dazu vom Alter Ego King’s, Thad, als er etwa dem Polizisten das Aussehen von Stark beschreiben soll:

“Thad schloß die Augen, die Gott ihm ins Gesicht gesetzt hatte, und öffnete dasjenige, das Gott in seinen Verstand gesetzt hatte, das Auge, das beharrlich auch Dinge wahrnahm, die er nicht sehen wollte. Wenn Leute, die seine Bücher gelesen hatten, ihm zum ersten Mal begegneten, waren sie unfehlbar enttäuscht. Sie versuchten zwar, es sich nicht anmerken zu lassen, aber es gelang ihnen nicht. Er machte ihnen keinen Vorwurf daraus, weil er ihre Gefühle verstand. wenn sie seine Bücher mochten (und manche behaupteten sogar, sie zu lieben), dann stellten sie sich unter ihm so etwas vor wie einen Gott. Anstelle eines Gottes sahen sie einen Mann, der gut einsachtzig groß war, eine Brille trug, anfing, kahl zu werden, und die Angewohnheit hatte, über alle möglichen und unmöglichen Gegenstände zu stolpern. Sie sahen einen Mann, dessen Kopfhaut leicht schuppig war und dessen Nase zwei Löcher hatte, genau wie ihre eigene. Was sie nicht sehen konnten, war das dritte Auge, das in der dunklen Hälfte von ihm strahlte, der Hälfte, die immer im Schatten lag – das war etwas Göttliches, und er war froh, daß sie es nicht sehen konnten. wenn sie es könnten, dann würden vermutlich viele versuchen, es zu stehlen. Selbst wenn sie es mit einem stumpfen Messer aus seinem Fleisch herausbohren müßten.”

Oooooh. Und es wird an manchen Stellen noch besser, denn durch das Nicht-Wiederaufleben des Pseudonyms schützt der Schriftsteller sogar die ganze Welt!

“‘Ich muß Ihnen etwas sagen – Ihnen (dem Polizisten, Anm.) und Liz. Ich weiß ganz genau, was er will. Er will, daß ich einen weiteren Roman unter Starks Namen schreibe – wahrscheinlich einen über Alexis Machine. Ich weiß nicht, ob ich das könnte, aber wenn ich glaubte, es käme etwas Gutes dabei heraus, würde ich es tun. … Ich werde es nicht tun … denn es würde mich umbringen. Fragt mich nicht, woher ich das weiß, ich weiß es einfach. Und ich würde es vielleicht trotzdem versuchen, wenn mein Tod allem ein Ende machen würde. Aber ich glaube nicht, daß das der Fall wäre. Ich kann einen Menschen wie diesen nicht auf die Welt loslassen. Weil ich überzeugt bin, daß er im Grunde überhaupt kein Mensch ist. … So stehen die Dinge!’ sagte Thad mit der Aura eines Mannes, der ein wichtiges Geschäft zum Abschluß gebracht hat. ‘Ich kann es nicht, ich will es nicht, ich darf es nicht. Das bedeutet, daß er kommen wird. Und wenn er kommt – Gott weiß, was dann passiert.’”

Na, da sind wir doch mal froh, dass King vor rund einem Vierteljahrhundert die Welt mit seiner weisen Tat gerettet hat. Weltwirtschaftskrise, Globalisierung und die Armut in der Dritten Welt wirken da gar nicht mehr so schlimm. Die Besessenheit, die so viele King-Romane beherrscht, sei des der “Dunkle Turm“, “Der Talisman” oder “Christine“, ist auch hier offensichtlich, gleichzeitig hat King, von seinem Fans geblendet, aber etwas den Bezug zur Wirklichkeit verloren. In jedem Fall sah sich King selbst zu diesem Zeitpunkt wohl als gottgleiche Berühmtheit mit ihren ganz eigenen Problemen, für die sogar der “untergeordnete” Polizist Pangborn sein ebenso eigenes Verständnis aufbringt (und natürlich auch nicht anders kann, als letztlich daran zu glauben, dass Stark sein verstorbener und von den Toten wiedergekehrter, gespenstischer Zwilling ist):

“Ich kenne keine berühmten Leute, aber sie tun mir leid – ich stelle mir vor, daß ihr Leben defensiv, ungeordnet und von Ängsten erfüllt ist.”

Noch ein eindeutiges Ooooooh.

Verbindungen

Verbindung: “Sie” (Kampf mit Ich als Annie)
Verbindung: “Monstrum” (Kampf mit Ich als Bobbi und körperlicher Verfall)
Verbindung: “Langoliers” (Sicht Schriftsteller & Schreiben)
Verbindung: Castle Rock (Zyklus)
Verbindung: “Alpträume” (Schriftsteller zerstört Figur)
Verbindung: “The Dead Zone – Das Attentat” (Gehirntumor)
Verbindung: “Der Sturm des Jahrhunderts” (Polizist)
Bibliographie