Horrorbuch Rezension “Dead Zone. Das Attentat” von Stephen King (1979)

Die Idee an und für sich wäre ja nicht uninteressant, aber insgesamt ist das Buch von Stephen King rundherum einfach etwas geschwollen geraten. Vermutlich hätte eine Kurzgeschichte auch gereicht. Warum der Roman trotzdem ganz OK ist? Vermutlich nur, weil die vorhergehenden Bücher, die ich gelesen habe, zu schlecht waren (wobei ich meine Meinung bis zum Ende geändert habe). Oder aber, weil die Idee trotz alledem gut ist.

Stephen King "Dead Zone. Das Attentat" (1979), CropTop

Stephen King „Dead Zone. Das Attentat“ (1979), CropTop

Worum geht es

Stephen King "Dead Zone. Das Attentat" (1979), Buchdeckel

Stephen King „Dead Zone. Das Attentat“ (1979), Buchdeckel

Der Roman entstand ein Jahr nach “The Stand” (1978) und kurz vor den Klassikern “Feuerkind” (1980) bzw. “Cujo” (1981), wobei die inhaltliche Nähe vor allem zu “The Stand” gegeben ist und weniger zu den Nachfolgeromanen. Zugleich bildet der Roman den Auftakt zu den Büchern des sogenannten Castle Rock Zyklus.

Aber worum geht es in dem Roman? Ein Mann namens Johnny Smith aus Durham erleidet als kleines Kind mit 6 Jahren 1953 einen Unfall am Eis und hat kurz ein Blackout, das ihn in die Nähe einer “geistigen Todeszone” bringt, durch die er hellseherische Fähigkeiten entwickelt. Die Jahre vergehen, er wird zum Lehrer in einer kleinen Schule und lernt die Liebe seines Lebens, Sarah kennen, mit der er auf den Rummelplatz geht. Dort scheint er sich erneut der Todeszone zu nähern und die Zahlen an einem Zahlenrad vorherzusehen. Zwar gewinnt er völlig überraschend ein paar hundert Dollar, kurz darauf hat er jedoch einen schweren Unfall, der ihn 1970 knapp 5 Jahre bis 1975 ins Koma fallen lässt. Als er dieses Mal erwacht, hat er sich verändert, muss vielfach operiert werden, damit er überhaupt wieder gehen kann und seine große Liebe ist inzwischen verheiratet und hat ein Kind, während seine Mutter halb dem religiösen Wahnsinn verfallen ist. Die nächsten 5 Jahre seines Lebens kommen einer kompletten Wende gleich.

Johnny versucht seinem Leben einen neuen Sinn zu geben und kann einen Job als Hauslehrer eines reichen Jungen mit Leseschwäche bekommen. Parallel dazu sieht er immer wieder Dinge vorher wenn er Menschen berührt. Mehrfach sieht er Brände, die er dadurch zumindest teilweise verhindern kann oder andere Gefahren, insbesondere kann er einen langjährigen Mörder in Castle Rock, Frank Dodd, durch seine Gabe ausfindig machen. Allerdings bringen ihm seine hellseherischen Fähigkeiten eher den Ruf eines Sonderlings ein und er hat zunehmend Schwierigkeiten sich im Alltag zu integrieren. Als besonderes Hobby entdeckt Johnny sein Interesse daran, Politikern die Hand zu geben und dadurch ihre Zukunft vorherzusehen. Bei einer Wahlveranstaltung lernt er Greg Stillson, einen lokalen Bürgermeister und ehemaligen Bibelverkäufer und Regenmacher mit Ambitionen zu Höherem kennen, und sieht in seiner Zukunft nicht nur die Präsidentschaft der USA, sondern auch Krieg und Zerstörung bis hin zum fatalen Dritten Weltkrieg mit Atomausmaßen.

Damit sieht sich Johnny mit einer Frage konfrontiert, die fortan sein Leben bestimmen wird:

“Wenn du in eine Zeitmaschine springen und dich ins Jahr 1932 zurückversetzen könntest, würdest du Hitler töten?“

Jahrelang verfolgt er alle Aktivitäten von Stillson und dokumentiert sie in Notizbüchern. Als er zudem vom Neurologen die schlechte Nachricht erhält, dass er einen großen Gehirntumor hat, der ihn in ein paar Monaten ohne Behandlung töten wird, entscheidet er sich dafür, ein Attentat auf Stillson auszuüben. Die Geschichte eines Gehirntumors wird King übrigens ein paar Jahre später wesentlich breiter wieder aufnehmen, nämlich wenn er in “Stark” dadurch eine zweite Identität entwickelt. In diesem Fall spielt der Tumor aber eine untergeordnete Rolle. Johnny platziert sich in einem Gebäude in Trimbull, in welchem Stillson eine Kundgebung starten will und beginnt auf ihn zu schießen, vor seinem Leibwächter und ehemaligen Rocker Sonny Elliman. Zwar verpasst er Stillson, dieser entreisst einer Frau aber ihr Kind und hält es als Schutzschild vor sich. Kurz bevor Johnny stirbt, kann er Stillson noch einmal berühren und – obwohl er ihn nicht töten konnte – sieht er, daß sich alles verändert hat, da ein Foto von Stillsons wenig rümlicher Tag an die Öffentlichkeit gelangte. Der dritte und letzte Teil beschreibt schließlich Berichte und Briefe von bzw. über Johnny zu seiner Tat. Er endet mit dem Friedhofsbesuch von Sarah am Grab von Johnny Anfang 1979.

Mein Fazit

Die Idee an und für sich ist eigentlich nur theoretisch interessant, was man tun würde, wenn man einen potentiellen Massenmörder vor sich hätte. Denn praktisch war bei etwa bei Hitler immer klar, dass er Krieg wollte (in “Mein Kampf” erwähnt er dies bereits im ersten Kapitel) und weder die amerikanischen, noch asiatischen noch afrikanischen Super-Monster-Diktatoren waren immer unerreichbar. Und sie sind auch nicht historisch, sondern heute ebenfalls vorhanden. Nach King’s Theorie müsste man, hätte man sonst akut nichts zu tun bzw. würde sowieso sterben, sich aufmachen und ein paar von den menschlichen Schätzen ermorden.

Insofern braucht man wenig hellseherische Fähigkeit, um manchen politischen Laufbahnen vorherzusehen. In jedem Fall liefert King irgendwo im Roman auch eine Erklärung, warum Johnny über diese Fähigkeiten verfügt und diese wird sogar von seinem Arzt vorgetragen:

“Es gibt eine Theorie, Johnny, die von vielen statistischen Forschungen unterstützt wird…. (…) Aber diese Theorie besagt, daß Leute, die dazu neigen, erst nach langer Zeit aus dem Koma zu erwachen, meistens früher schon mal eine Kopfverletzung erlitten haben … als hätte das Ghirn als Resultat der ersten Verletzung eine Anpassung vorgenommen, die es ihm erlaubt, die zweite zu überleben.”

Und ein wenig später rezitiert der gleiche Arzt vor einer wartenden Pressemenge:

“Sie dürfen auch zitieren, daß ich der Meinung bin, daß dieser Mann jetzt eine sehr neue oder aber sehr alte menschliche Fähigkeit besitzt. Warum? Wenn meine Kollegen und ich nicht einmal das Gehirn einer Ameise verstehen, wie soll ich es Ihnen dann erklären? Ich kann es nicht. Ich kann Ihnen jedoch einige interessante Vorschläge machen, die möglicherweise von Bedeutung sind, vielleicht aber auch nicht. Ein Teil von John Smiths Gehirn wurde unwiderruflich beschädigt – ein winziger kleiner Teil, aber alle Teile des Gehirns sind höchstwahrscheinlich lebenswichtig. Er nennt dies seine “Tote Zone”, und dort waren offenbar eine Anzahl von Erinnerungsspuren gespeichert. Alle diese ausgelöschten Erinnerungen scheinen Teil eines “Sets” zu sein – zum Beispiel Teil einer Straße, einer Autobahn und so weiter. Dies ist eine kleine, aber totale Aphasie, die sowohl die Sprache als auch Vorstellungsgabe einschließt. Um dies auszugleichen, schein ein anderer winziger Teil von John Smiths Gehirn erwacht zu sein. Ein Abschnitt des Zerebrums innerhalb des Scheitellappens. … (D)er Scheitellappen hat etwas mit dem Tastsinn zu tun … (i)ch selbst habe die Beobachtung gemacht, daß Johns “Wahrnehmungen” jeweils eine Berührung vorangegangen ist.”

Im letzten und dritten Teil, wird Johnnys Arzt Sam Weizak schließlich seine Beobachtungen finalisieren:

“John Smith hatte einen extrem stark entwickelten Tumor im Scheitellappen des Gehirns.”

Umgekehrt klingt das politische Programm von Stillson und seiner unabhängigen “America-Now-Partei” eher bekannt und logisch, hat es so in variierter Form doch beinahe jede Regierung im Programm (mit Ausnahme der Müll-ins-All-Idee und das Verteilen von Hot-Dogs):

“Wie sieht unser Programm aus? Unser Programm hat fünf Säulen … Erste Säule: Schmeisst die Penner raus! … Zweite Säule! … Wir werden jeden in der Regierung hinauswerfen, vom höchsten bis zum niedersten, der seine Zeit mit jemandem im Bett verbringt, der nicht seine Frau ist! … Dritte Säule! … Wir werden die gesamte Umweltverschmutzung einfach ins Weltall befördern. Wir verpacken den Müll in Plastiksäcke … (und) schießen ihn zum Mars, zum Jupiter und den Ringen des Saturn …. Vierte Säule! Wir werden alles Öl und alles Benzin haben, das wir brauchen! Wir werden aufhören, Spielchen mit diesen Arabern zu spielen und mal Tacheles reden! … Letzte Säule … Hot Dogs!”

In Kurzform lässt es King durch seine Hauptfigur Johnny in etwa so zusammenfassen:

“Wie Johnny es ausdrückte, waren sie äußerlich liberal in Fragen des Haushalts und erzreaktionär in Fragen der Außenpolitik. … Und wenn man die liberalen Fassaden in den Haushaltsfragen abschälte, waren sie auch sonst ziemlich konservativ.”

Übrigens bringt King wieder einmal alte Bekannte an manchen Stellen mit in die Geschichte: Der Sheriff Bannermann, der in “Cujo” sterben wird ruft Johnny um Hilfe für einen Mord, Jerusalem’s Lot aus “Brennen muss Salem” wird erwähnt und jener Reporter namens Dees, der dem Vampir in “Nachtflieger” aus “Alpträume” auf die Spur zu kommen versucht, verfolgt auch Johnny (ein anderer namens Dussault klingt übrigens ähnlich wie der Nazimörder Dussander aus “Der Musterschüler” aus “Jahreszeiten“).

Das Inhaltsverzeichnis ist mit drei zentralen Teilen relativ üblich, wobei jeder Teil – ebenfalls üblich – in Kapitel mit durchgehender Nummerierung untergliedert ist:

  • Prolog
  • Erster Teil: Das Glücksrad
  • Zweiter Teil: Der lachende Tiger
  • Dritter Teil: Notizen aus der toten Zone

Während der Rekapitulierens des Romans habe ich übrigens meine Meinung nach unten korrigiert – mehr gibt die Geschichte einfach nicht her, auch wenn die rund 10 Jahre Entwicklung eines Personenkreises und des politischen Systems von Nixon über Carter und Reagan doch an manchen Stellen interessant ist. Eine nette Textstelle habe ich aber übrigens gefunden, vor vielen Jahren hat sie mir schon einmal jemand erzählt – deshalb in persönlicher Nostalgie:

“Zwei Esel begegnen sich auf einer Straße in einer Stadt im Westen. Einer ist ein Stadtesel, der außer einem Sattel nichts auf dem Rücken hat. Der andere ist der Esel eines Goldsuchers, er ist mit Säcken, Camping- und Kochgeschirr und vier Fünfigpfundsäcken voll mit Erz beladen. Das Gewicht biegt seinen Rücken gehörig durch. Der Stadtesel sagt: Ganz ordentliche Last, die du da mit dir herumschleppst. Worauf der Esel des Goldsuchers antwortet: Was für eine Last?”

Eines ist mir übrigens noch eingefallen: An keiner Stelle fragt King, was Zerstörung und Krieg bzw. seiner Meinung nach schädliche Politiker eventuell auch Gutes für die Menschheit haben könnten.

Verbindungen

Verbindung: “The Stand” (Figur des Bösen)
Verbindung: Castle Rock Zyklus
Verbindung: “Stark” (Gehirntumor)
Bibliographie

5 Kommentare

  1. Pingback:Die Bibliographie von Stephen King als Mindmap | gruselblog.com

  2. Pingback:Horrorbuch Rezension “The Stand – Das letzte Gefecht” von Stephen King (1978/1990) | gruselblog.com

  3. Pingback:Horrorbuch Rezension “Stark – The Dark Half” von Stephen King (1989) | gruselblog.com

  4. Pingback:Stephen King: Castle Rock (Zyklus) | gruselblog.com

  5. Pingback:Novellensammlung Rezension “Herbst und Winter” von Stephen King (1982), aus: Jahreszeiten | gruselblog.com

Kommentar verfassen