Horrorbuch Rezension “Desperation” von Stephen King (1996)

Ich glaube, ich habe schon einmal erwähnt, daß es bessere, schlechtere und wirklich, wirklich wüst bös übel schlechte Bücher von Stephen King gibt. Der Roman “Desperation” aus dem Jahr 1996, der ausnahmsweise im Englischen und Deutschen gleich heißt, ist so ein Kandidat. Wobei eigentlich läuft er außer Konkurrenz, weil ich mich am religiösen Unterton so gestoßen habe, daß ich vermutlich ohnehin nicht zum Leserkreis gehöre bzw. gehören kann. Eine eigene persönliche “Verzweiflung” gegenüber dem Roman, quasi.

Stephen King “Desperation” (1996), CropTop

Stephen King “Desperation” (1996), CropTop

Worum geht es?

Stephen King “Desperation” (1996), Buchdeckel

Stephen King “Desperation” (1996), Buchdeckel

Also: man stelle sich vor – ein New Yorker Ehepaar namens Mary und Peter Jackson fährt auf dem Highway 50 durch die verwüsteten Einöden Nevadas und wird plötzlich von einem Polizisten angehalten. Es ist aber ein böser Cop, wie schon aus “Das Bild” (1995) bekannt. Nur dieses Mal ist es kein verrückter Schlägertyp, sondern ein dem Bösen Verfallener, welcher ehemals Collie Entragian hieß. Wie böse, wird das Ehepaar erst später erkennen, es wird nämlich vom hühnehaften Cop in eine nahestehende Bergwerksstadt namens “Desperation” verschleppt und kurzerhand in ein Gefängnis eingesperrt, wobei Peter die Ankunft nicht überlebt und vom Polizisten erschossen wird.

In der Gefängniszelle trifft die überlebende Ehefrau auf weitere Entführte – die Mittelschicht-Familie Carver, die mit Sohn David und Tochter Kirsten nebst den Eltern Ralph und Ellen im Wohnmobil unterwegs war, einen leidlich bekannten älteren Schriftsteller namens John Edward Marinville, der auf seiner Harley Davidson die USA nach neuen literarischen Ideen durchkreuzt hat und einen älteren Tierarzt namens Tom Billingsley aus der Stadt Desperation selbst, welcher zugleich auch Alkoholiker ist. Neben dem Ehemann von Mary muss auch die kleine Tochter der Familie Carver bereits beim Eingang zum Gefängnis ihr Leben lassen, da der Cop sie eine Treppe hinunter stößt, wo sie sich das Genick bricht.

Zunächst gehen sie von einem Amoklauf des Polizisten aus, müssen aber bald erkennen, dass wohl mehr hinter der Sache steckt, da der Polizist scheinbar um etwa 7 cm gewachsen ist und körperlich zunehmend auseinanderfällt, vergleichbar einem Tollwutanfall. In jedem Fall nimmt der Cop Ellen aus der Zelle und verschwindet mit ihr in einer nahegelegenen Mine, hinterlässt aber sicherheitshalber einen Kojoten, der ihm, wie auch zahlreiche andere Tiere, allen voran Wölfe, Kojoten, Schlangen, Spinnen, Ratten, Fledermäuse und auch Geier, auf Befehl zu gehorchen scheint und durch den er analog einer Kamera jederzeit Einsicht haben kann. Später wird sich zeigen, daß in der Mine ein böser Antigott namens Tak lebt, der durch die Bergbauarbeiten “geweckt” wurde, analog den Wesenheiten in “Herr der Ringe“. Er hat Besitz vom Cop ergriffen, der die ganze Stadt ausgelöscht hat und nachdem dessen Körper nun verbraucht ist, geht er per Kuss bzw. Atem in den neuen von Ellen über.

Immer wieder schaltet King zwischen den unterschiedlichen Szenen der “Guten” und “Bösen” hin und her. Am anderen Ende der Stadt, hat David es im Gefängnis inzwischen geschafft sich nach einem Gebet zu Gott durch die Zellenstangen zu quetschen, indem er sich mit Seife eingerieben hat. Er findet eine Waffe, tötet den Kojoten und kann die anderen befreien. Insgesamt eine scheinbar unmögliche Tat, die – so scheint es – nur durch Gottes Hilfe möglich war. Gleichzeitig trifft der Assistent bzw. Begleiter des Schriftstellers Steve Ames in Desperation ein, in Begleitung einer Autostopperin in Punk-Look Cynthia Smith und auf der Suche nach seinem Boss. Erneut passieren verschiedene “Wunder” – auf der guten Seite schafft es David plötzlich das Handy von Johnny zu aktivieren und Steve anzurufen, um einen Treffpunkt auszumachen, während auf der bösen Seite alle möglichen Tiere die Überlebenstruppe bedrohen, beispielsweise indem sie es schaffen, Wohnwagen auf die Straße aus Desperation zu stellen (!).

Außerdem hat sich in der Zwischenzeit eine weitere Überlebende zum Trupp gesellt, eine Geologin namens Audrey Wyler. Zusammen mit dem hiesigen Tierarzt erzählt sie der Truppe auch eine Legende rund um die Mine, nach welcher Mitte des 19. Jahrhundert von einer Firma namens Diablo Mining mit Hilfe von chinesischen Hilfskräften sehr unsichere Stollen in den Berg getrieben wurden. Eines Tages schienen sie im Inneren auf etwas Grauenhaftes zu stoßen und zwei der Arbeiter verschütteten panisch den Eingang und wurden später von den Bewohnern gehängt bzw. verfielen dem Wahnsinn. Seitdem heißt die Mine die “China-Mine”, da alle Verschütteten, rund 60 Menschen, darin starben. In ebendieser Mine scheinen die neuerlichen Grabungen nun erneut auf das Grauenhafte gestoßen zu sein, und wie sich später herausstellt, ist dem auch so, denn das “Böse” ging von hier aus, einem klitzekleinen, rot leuchtenden Loch in Form eines Auges am Ende eines Brunnentrichters im Boden, aus dem ein rauchartiges Wesen am Ende des Romans emporsteigt.

Nach mehreren Aktionen und Verlusten bei der Truppe (u.a. stellt sich heraus, daß Audrey “böse” ist, der Tierarzt wird von einem Tak-Tier angefallen und getötet) gelingt es ihnen schließlich in den Stollen zu steigen und der Schriftsteller opfert sich für die anderen, indem er mit sprengstoffähnlichen Utensilien bis zum Trichter hinabsteigt und dort zündet. Inzwischen sind einige getötet, David und Johnny hatten erneut einige Erscheinungen von Gott und Tak hat auch ein paar Mal die Gestalt gewechselt, geht aber schlußendlich sprichwörtlich und real in Rauch auf und die Geschichte ist zu Ende. Der Rest der Truppe – Steve, Cynthia, David und Mary – fahren in ihrem Bus nach Austin und leben ihr Leben vermutlich weiter. Natürlich nicht ohne ein paar Bibelverse zu zitieren.

Formaler Aufbau

Der Aufbau ist dieses Mal mit seinen Teilen auch gleich mit ankündigenden Titeln versehen und mit den üblichen Kapiteln weiter untergliedert:

  1. Teil: Highway 50: Im Haus des Wolfs, im Haus des Skorpions
  2. Teil: Desperation: In dieser Stille könnte etwas erwachen
  3. Teil: Das American West: Legendäre Schatten
  4. Teil: Die China-Mine: Gott ist grausam
  5. Teil: Higway 50: Vom Unterricht befreit

Gibt es die Stadt Desperation?

Die Stadt Desperation gibt es in der Wirklichkeit natürlich nicht, in jedem Fall sieht der Abschnitt zwischen Ely und Austin auch so einsam genug aus, zumindest in Google Maps. Nach King müsste sein “Desperation” südlich der Route liegen und zwar etwa näher zu Ely im Westen:

[googlemaps https://www.google.at/maps?sll=39.391632,-117.74322500000001&sspn=1.6315698004363635,2.816537910390012&saddr=ely,+nevada&t=m&daddr=austin,+nevada&dirflg=d&dg=opt&ie=UTF8&geocode=FU_eVgIdSvAm-Sn7R5NWjkmwgDEEQCKQeoViAg%3BFdqbWgIdHLIF-Sl5b2Ggwl-jgDH38JxjSz6QBA&ll=39.415187,-115.978055&spn=0.337615,2.178797&output=embed&w=425&h=350]

Mein Fazit

In vielerlei Hinsicht wiederholt sich King wieder einmal selbst: der “böse” Cop besticht wieder einmal durch ein starkes Parfum (dieses mal Old Spice) über Schweiß, die Figur der Cynthia Smith ist bereits aus “Das Bild” bekannt und Kings religiöse Ansätze waren bereits in “The Stand” mehr als nur deutlich zum Ausdruck gekommen. In Desperation übertrifft sich King mit seinen Gebeten und seinem Gottglauben allerdings selbst. Alle paar Seiten wird die Bibel zitiert und gewissermaßen nach Bedarf mit diversen Gebeten erweitert, die David dann rezitiert:

“Herr, mach, daß ich mir selbst helfen kann, und hilf mir, nicht zu vergessen, daß ich anderen keine Hilfe sein kann, wenn ich das nicht vermag. Hilf mir, nicht zu vergessen, daß du mein Schöpfer bist. Ich bin, wozu du mich gemacht hast – manchmal der Daumen an deiner Hand, manchmal die Zunge in deinem Mund. Mache mich zu einem Gefäß, das dir zu Diensten ist. Danke. Amen.”

Das Ganze gipfelt dann darin, daß David eine Vision von der Mine und wie er das Problem lösen kann, hat, während er mit einer virtuellen Figur redet, die wiederum den ungläubigen Schriftsteller in jungen Jahren darstellt. Und dieser wiederum glaubt eben nicht an Gott, will die Gruppe verlassen und lässt sich dann von David bekehren. Nach seiner Bekehrung hat er selbst eine Vision von Gott, die ihm zeigt, wie er die anderen retten kann. Viel Gotteserscheinungen für ein einziges Buch.

Etwas komplexer wird das ganze Gruseltheater rund um den/die/das Anti-Gott? Teufel? Lebewesen? Krankheit? uralter Erdgeist? Tommyknockers?, in jedem Fall um das Ding namens Tak. Er hat eine eigene Sprache der “Ungeformten”, aus der Vorzeit aller Tiere und schafft es mittels kleiner Statuetten immer wieder die Menschen zu hypnotisieren und an Mord bzw. krankhafte Sexualität zu denken. Sobald Menschen solche Statuetten in Kojoten-, Spinnen- oder Skorpionform allerdings berühren, werden sie “unbrauchbar” für den Tak als “Wohnort” (ein Umstand der i.Ü. nicht ganz logisch ist – berühren Christen eine heilige Figur, werden sie auch nicht zu Antichristen).

Dazwischen sind à la “Dunkler Turm” immer wieder ein paar sprachlich hübsche Wörter zur Reizsteigerung eingeflochten – Soma, Sarx, Pneuma usf. Und natürlich ist Tak wirklich ganz, ganz Böse und denkt nur ans Töten und Besitzen. Überraschend für mich persönlich war die derbe Ausdrucksweise des denn wohl seit Jahrtausende Existierenden – ich hätte gemeint, daß man dazumal solche Schimpfwörter noch gar nicht kannte (aber offenbar lernen auch Götter schnell). King macht es sich wie üblich ziemlich leicht, indem er es ziemlich offenlässt, was Tak denn nun ist, und am ehesten noch durch einige Beschreibungen Davids konkretisiert:

“Tak ist ein Gott. … Oder ein Dämon. Oder möglicherweise gar nichts, nur ein Name, eine sinnlose Silbe – aber ein gefährliches Nichts, wie eine Stimme im Wind. Spielt keine Rolle.”

“Derjenige sprach in der Sprache der Ungeformten, aus der Vorzeit, als alle Tiere, abgesehen von den Menschen und dem Außenseiter, eins gewesen waren.”

“Tak ist real, er ist ein Lebewesen. Er mußte Ripton in die Mine locken, weil er nicht durch das ini kam – den Brunnen. Er hat einen Körper und der Brunnen ist zu schmal für ihn. Er kann nur Menschen einfangen, in sie hineinschlüpfen und sie in can tak verwandeln. Und sie austauschen, wenn er sie verschlissen hat.”

“Ich glaube, es ist mehr eine Krankheit als ein Geist oder ein Dämon. Die Indianer wußten vielleicht gar nicht, daß es hier ist, obwohl es schon lange vor ihnen hier war. Lange vorher. Tak ist der Große Alte, das ungeformte Herz. Und der Ort, wo es sich wirklich aufhält, auf der anderen Seite des Schlundes am Boden des Brunnens … ich bin mir nicht sicher, ob dieser Ort überhaupt auf der Erde liegt, oder auch nur im normalen Raum. Tak ist ein völliger Außenseiter und unterscheidet sich so sehr von uns, daß wir ihn nicht einmal begreifen können.”

Und so weiter und so fort. Letztendlich habe ich Respekt vor Leuten, die gläubig sind, aber es ist einfach für jemand, der diesen Glauben nicht hat, unendlich schwer, die Interpretationen und Deutungen (als auch Schlussfolgerungen) Ernst zu nehmen. Ganz abgesehen von den  völlig lächerlichen Geschichte und der wiederholten Story, welche ja nun schon aus “The Stand” in Grün bekannt war. Ganz absurd wird es schließlich, wenn King die ganze Geschichte mit dem Ufo-Absturz in Rosewell, New Mexiko in Verbindung bringt, welches nicht weit entfernt liegt. Damit schließt sich der Kreis zu den Tommyknockers rund um “Das Monstrum” und driftet endgültig ins Exotische ab.

Wie logisch ist es denn beispielsweise, daß sich ein – recht kluges – Monster als Körpervorrat ausgerechnet einen alten Tierarzt aussucht, dessen Körper vom Alkohol schon verfallen ist? Wie logisch ist es denn, daß das Monster ausgerechnet nicht hinschaut, wenn die größten Bedrohungen für es stattfinden – wozu hat man denn nun tausende Spinnen-, Kojoten- und sonstige Augen in der Stadt? Und wozu tötet das Monster alle, mit den städtischen Körperreserven könnte es doch lange auskommen? Warum gibt es sich überhautp als Böse aus – als irdisches “Wunder” könnte es viel mehr Wahnsinn und Amokläufe bewerkstelligen? Aber bitte …

Und was King nun der werten Leserschaft mit diesem Quargel sagen wollte? Hey, es gibt doch einen Gott und die gute Nachricht ist, du kannst dich bekehren lassen! Du musst im Anschluss nicht mal eine Unmenge Kirchensteuern nachzahlen, sondern kannst dich gleich völlig begeistert ins Jenseits befördern und Gott vom Überbösen befreien! Und ganz nebenbei noch ein paar tolle Schimpfwörter und ganz böse Viecher kennenlernen. Ganz toll. Es wird eindeutig Zeit, daß ich wieder mal auf ein besseres Buch von King stoße oder mein Projekt, alle zugänglichen Bücher von King zu lesen (bei dem ich eh schon über der Zeit bin) aufgebe.

Verbindungen

Verbindung: “The Stand” (Böse/Gute, Offenbarung)
Verbindung: “Das Bild” (Cynthia Smith, böser Cop)
Verbindung: “Herr der Ringe” (böses Antiwesen)
Verbindung: “Regulator
Bibliographie

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