Horrorbuch Rezension “Regulator” von Richard Bachmann (1996)

“Und wenn man glaubt es geht nicht mehr, kommt von irgendwo noch ein schlechteres Buch von King daher”. So oder so ähnlich könnte man den Roman “Regulator” (engl. “The Regulators”) von Stephen King aus dem Jahr 1996 beschreiben. Im Prinzip ist es ja nicht allzu weit her geholt, daß King das zu diesem Zeitpunkt aufgedeckte Pseudonym Richard Bachmann ausgrub und einen anderen Roman, nämlich “Desperation” einfach in veränderter Ausgangssituation noch einmal schrieb – quasi unter dem Gesichtspunkt seines Alter Egos. Eine an und für sich formal gute Idee, leider verbessert sie aber die beiden Bücher inhaltlich nicht wirklich.

Richard Bachmann “Regulator” (1996), CropTop

Richard Bachmann “Regulator” (1996), CropTop

Worum geht es?

Richard Bachmann “Regulator” (1996), Buchdeckel

Richard Bachmann “Regulator” (1996), Buchdeckel

Im Prinzip verwendet King das gleiche Basismaterial wie in „Desperation„, d.h. die gleiche Idee, nämlich ein böses Urmonster namens Tak, welches in einer Mine haust und die gleiche Besetzung mit den unterschiedlichen Mittelschichtfamilien, teilweise in gleicher Rolle, teilweise unterschiedlich. Einzig wesentlich abweichend von der “Basis” Desperation ist der Ort der Handlung, nämlich ein typisch amerikanischer Vorort namens Wentworth, Ohio, mit hübschen Häuschen und kleinen Gärtchen. Wie Tak dorthin kam? Indem der autistische Junge Seth Garin seine Familie bei einem Ausflug zur Mine in Desperation lotst und Tak quasi in den Vorort mitverschleppt. Seine Familie wird zwar getötet, aber er lebt bei seiner Tante Audrey und seinem Onkel Herb weiter, bis Tak schließlich zu Tage tritt und den Vorort zu zerstören anfängt.

Mittel zum Zweck ist dieses Mal nicht ein böser Polizist – dieser taucht zwar wieder auf, ist aber gut – sondern eine Zeichentrickserie namens MotoKops 2200 vermengt mit einer Westernserie namens Regulators. Beide zusammen, angereichert um Elemente rund um Bonanza, bestimmen das Leben des autistischen Seth Garin, der am liebsten Fernsehen sieht und frankoamerikanische Spaghetti aus der Dose ißt. In ihm beginnt die zweite Identität des bösen Tak zu wachsen und sich seiner immer mehr zu bemächtigen. Schließlich erweckt er die Figuren und Autos aus der Zeichentrickserie als Illusion zum Leben und beginnt in einem Amokspektakel, die Bewohner der Poplar Street zu erschießen. Diese verschanzen sich in ihren Häusern und versuchen schließlich zwar auszubrechen, müssen aber entdecken, daß hinter ihrem Haus die Wüste beginnt, ähnlich wie in Desperation, und sich die Häuser selbst immer mehr zu einer Filmkulisse aus einem Western verändern. Währenddessen tauchen immer wieder ein paar Gruselmonster auf und einige der Bewohner werden von diesen oder den fahrenden Autos ermordet.

Warum Richard Bachmann im Jahr 1996 noch einen Roman schreiben konnte, nachdem er laut King 1985 an “Pseudonymkrebs” starb, erklärt der “Herausgeber” etwas verworren zu Beginn, indem er darauf hinweist, daß zwar zum Todeszeitpunkt rund 5 Romane veröffentlicht waren, seine Witwe aber noch einen weiteren in seinem Nachlass fand und dies war ebendieser. King’sche Schizophrenie der leichten Art oder einfach Langeweile eines überdrüssigen Schriftstellers – beide Romane sind nämlich meiner Ansicht nach grottenschlecht und ihr einzig interessanter Aspekte ist der Umstand die gleiche Story aus zwei verschiedenen Gesichtspunkten zu schreiben. Im Vorwort ergänzt King:

“Die Idee bestand darin, die Figuren aus Desperation zu nehmen und sie in Regulator zu versetzen. In einigen Fällen, dachte ich, könnten sie dieselben Leute spielen; in anderen würden sie sich ändern; in keinem Fall würden sie dieselben Dinge tun oder auf dieselbe Weise reagieren, weil die unterschiedlichen Geschichten verschiedene Vorgehensweisen erforderlich machen würden. Es wäre so, dachte ich, als ob die Mitglieder eines Repertoire-Ensembles in zwei verschiedenen Stücken spielten. Dann schoss mir noch eine aufregendere Idee durch den Kopf. Wenn ich das Konzept des Repertoire-Ensembles bei den Figuren benutzen konnte, dann konnte ich es genauso gut bei dem Plot anwenden – ich konnte eine ganze Menge der Elemente von Desperation in einer völlig neuen Anordnung arrangieren und eine Art Spiegelwelt erschaffen. … Desperation handelt von Gott; Regulator handelt vom Fernsehen. Das heißt vermutlich, dass sie beide von höheren Mächten handeln, aber sie sind gleichwohl sehr unterschiedlich.”

Gott mit Fernsehen zu vergleichen ist zwar etwas anmaßend, aber im Endeffekt dreht es sich in beiden Fällen um eine ähnliche Idee, nämlich analog zu “Shining” eine nicht existierende Welt zu erschaffen, sei es durch ein Monster oder einfach durch einen Schriftsteller. Allen drei Romanen ist in jedem Fall gemein, daß ein kleiner Junge im Mittelpunkt steht: bei Shining war es der kleine Danny mit dem zweiten Gesicht, bei „Desperation“ der etwa gleichaltrige David mit seiner Nähe zu Gott und bei Regulator ist es eben der autistische Seth mit ebenfalls nicht zu unterschätzenden Kräften.

Und damit der werte Leser bei all diesen Gemeinsamkeiten nicht durcheinander kommt, ist King so freundlich, eine Zeichnung der Vorortstraße gleich zu Beginn einzufügen. Sie zeigt all die bekannten Namen aus Desperation, nur in leicht variierter Form. So haben die Figuren bei der Familie Carver etwa die Positionen getauscht – die Kinder sind nun die Eltern und umgekehrt – der ältere Schriftsteller Marinville ist auch wieder von der Partie, wie auch der ebenso reifere Tierarzt Tom Billingsley, die bunthaarige Cynthia Smith verliebt sich wieder in den hippiesken Steven Allan usf.

Richard Bachmann “Regulator” (1996), Bild 1

Richard Bachmann “Regulator” (1996), Bild 1

Vermengt wird der ganze Roman von unterschiedlichen anderen Elementen. Dazu gehören Tagebucheinträge von Audrey Wyler, Zeitungsartikel, Lexikaeinträgen, Drehbuch u.a.m. Dieser schriftstellerisch für King eventuell interessante Zug führt allerdings dazu, daß das ganze Buch mehr als verwirrendes Patchwork, denn durchgängige Erzählung wirkt.

An zwei Stellen verwebt King die beiden Geschichten besonders stark miteinander: einerseits im Minenbesuch in Desperation und andererseits im Romanende. Bei ersterem hat King genau jenen Zeitpunkt ausgesucht, bei welchem die geheimnisumwobene China-Mine freigelegt wurde, aber noch keine weiteren Aktivitäten gesetzt wurden. Bei “Desperation” geht einer der Minenarbeiter zum Monstertrichter und wird von diesem eingenommen (und das Spektakel startet), während bei “Regulator” die Familie zur Mine geht und der kleine Seth unerlaubterweise in das Loch hinabsteigt (und das Spektakel startet).

Der Verlauf ist ähnlich, es werden in beiden Romanen schrittweise die Darsteller ermordet, bis eine kleine Gruppe übrigbleibt und Tak “ausgetrickst” wird, indem er zuletzt keinen Körper mehr findet, in den er eindringen kann. Als Fazit verändert sich in “Regulator” das Umfeld wieder vom Western in die normale Vorortstadt und das Grauen ist vorbei (während in Desperation die übrige Gruppe von dannen zieht). Finale “Einstellung” ist schließlich eine Wolke am Himmel mit einer etwas seltsamen Form: bei “Regulator” ist es etwa ein Cowboy, bei “Desperation” eine Rauchwolke vom Feuer in der Mine – in beiden Fällen lösen sich die Gebilde auf und alle leben glücklich und zufrieden.

Formaler Aufbau

Die Bestandteile im Einzelnen (ausnahmsweise nicht in einzelne “Teile” zusammengefasst):

  1. Anmerkung des Herausgebers
  2. Was es bedeutet, Bachmann zu sein von Stephen King
  3. Kapitel 1-31

Mein Fazit

Abgesehen vom Verlauf, der wenig überraschend ist, überrascht doch häufig die Stringenz der Geschichte, die ähnlich wie in “Desperation” etwas unrund ist. Denn auch wenn sich die Umwelt etwas seltsam zu verändern beginnt, plötzlich realitätsgroße Lieferwagen (“Power Wagons”) in grellen Kinderfarben die Straßen verunsichern und Comicfiguren daraus hervorlugen (vermengt mit Cowboydarstellern), so sind doch alle Teilnehmer der Gruppe schnell von Audrey zu überzeugen, daß das alles von einem bösen Virus in Seth verursacht wird. Ist das realistisch? Würden (gerade) bürgerliche Vorortmenschen ad hoc eine solche Theorie ohne Probleme akzeptieren?

Ehrlicherweise weiß ich es nicht, ich glaube ich würde eher das Bedürfnis haben, über mögliche Alternativen zu diskutieren, anstatt ausgerechnet diese ohne Zweifel zu akzeptieren. Neben diesen nicht sehr gelungenen Übergängen weisen vor allem die Charaktere eine überraschende Flachheit auf – diese gelingen King i.d.R. wesentlich besser. Aber eventuell war er der Wiederholung müde. In jedem Fall wirkt der Roman von allen inhaltlichen Schwächen abgesehen, etwas fahrig und schlampig geschrieben. Mir persönlich war er ohnehin zu mühsam, zu wenig interessant, zu wenig tief. Der wesentliche Punkt war eher die Vervollständigung meiner Liste…

Eine Kleinigkeit hat mich übrigens noch stark an “Shining” erinnert: am Ende der Geschichte tötet sich Seth Garin quasi selbst, indem er auf die Toilette geht – woraufhin Tak ihn verlässt, da er diesem Umstand nicht beiwohnen will – Audrey mittels Gedankenübertragung ruft – was Tak allerdings vorhersieht – und gleichzeitig aber von einer dritten Bewohnerin Besitz ergreift und sie mit einem Gewehr zum Haus kommen lässt. Letzteren Umstand kann Tak nicht vorhersehen und ist damit ausgetrickst, weil er außerhalb vom Körper von Seth ist, als dieser veranlasst, daß er erschossen wird. Während all dieser Zeit haben aber sowohl Seth als auch Audrey einen Fluchtmechanismus entwickelt, indem sie sich an einen anderen Ort denken, der voll Heiterkeit und glücklicher Erinnerungen ist. Dort ziehen sie sich offenbar kurz vor ihrem Tod erneut zurück und zum Abschluss berichtet eine Unbekannte vom Lake Mohonk, wo an manchen Tagen Geister von einer Mutter mit ihrem Sohn gesehen werden, wie sie Spaghetti essen und glücklich sind. *Gähn*

Richard Bachmann “Regulator” (1996), Bild 2

Richard Bachmann “Regulator” (1996), Bild 2

Verbindungen

Verbindung: “Desperation
Verbindung: “Shining
Verbindung: “Im Morgengrauen“, aus Blut (Straße & Auto)
Verbindung: “Atlantis” (Autos)
Bibliographie

5 Kommentare

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