ScienceFiction- / Horrorbuch Rezension “Nachts” von Stephen King (1990), aus: Langoliers/Nachts

Nachts bezeichnet den zweiten Teil eines von Stephen King im Jahr 1990 veröffentlichten Buches mit den zwei Novellen “Der Bibliothekspolizist” und “Zeitraffer”. Wie bereits beim ersten Teil, „Langoliers„, dreht sich alles um Zeit bzw. die Wahrnehmung von Zeit. Wer Neuerungen erwartet, wird aber vermutlich enttäuscht werden.

Stephen King “Nachts” (1990), aus: Langoliers/Nachts, CropTop

Stephen King “Nachts” (1990), aus: Langoliers/Nachts, CropTop

Einleitung

Stephen King “Nachts” (1990), aus: Langoliers/Nachts, Buchdeckel

Stephen King “Nachts” (1990), aus: Langoliers/Nachts, Buchdeckel

Im Englischen heißt die Kurzgeschichtensammlung eigentlich “Four Past Midnight” (1990) und enthält insgesamt 4 Novellen. Im Deutschen sind je 2 Novellen getrennt erschienen und zwar als “Langoliers” und “Nachts”.

Die erste Hälfte mit den Geschichten “Langoliers” und “Das heimliche Fenster, der heimliche Garten” (erschienen unter “Langoliers“) habe ich bereits gelesen und aktuell habe ich die zwei noch fehlenden Novellen “Der Bibliothekspolizist” und “Zeitraffer” (erschienen unter “Nachts”) vervollständigt.

In allen vier geht es laut King im weitesten Sinne um Zeit. Da Zeit als Thema dermaßen weit gefasst ist, geht es vermutlich relativ schnell in irgendeiner Geschichte darum. In jedem Fall sind die Geschichten auch in diesem Band mäßig interessant und über weite Strecken wiederholt King (wieder einmal), was er schon in anderen Erzählungen angeschnitten hat. Einzig “Langoliers” scheint als Novelle zumindest etwas innovativer – auch die beiden Novellen aus “Nachts” sind dementsprechend nur mäßig Neuerungen.

Der Bibliothekspolizist

Worum geht es?

Die Geschichte erinnert in vielerlei Hinsicht an “Es” und die Bibliothek, welche dort vorkommt. Allerdings spielt die Geschichte nicht in Derry, sondern in Junction City und im Vorwort widmet King die Geschichte überhaupt der Bibliothek von Pasadena. Die Idee des Bibliothekspolizisten scheint dabei eine in den USA übliche, fiktive Moralfigur zu sein, welche in Erscheinung tritt, wenn man seine Bücher zu spät in die Bibliothek zurückbringt.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Sam Peebles, ein Makler und Versicherungsagent, der sein mehr oder minder interessantes Leben in Junction City dahin fristet, bis er eines Tages dazu aufgefordert wird, vertretungsweise eine Rede vor dem Rotary Club zu halten. Seine Teilzeitsekretärin Naomi Higgins empfiehlt ihm, die Bibliothek aufzusuchen, um ein paar Anregungen zum Aufpeppen seiner Rede zu erhalten und damit beginnt auch gleichsam der Ärger.

Als Sam nämlich die Bibliothek aufsucht, empfängt ihn eine ältere Dame namens Ardelia Lortz und Sam leiht sich zwei Bücher, den “Speaker’s Companion” (hrsg. von Kent Adelmen) und “Best Loved Poems of the American People” (hrsg. Hazel Felleman) aus. Er hält seine Rede, welche ausnehmend erfolgreich verläuft und freut sich weiterhin seines Lebens, vergißt allerdings die Bücher zurück zu bringen – trotz Erinnerung von Lortz auf seinem Anrufbeantworter.

Was Sam nämlich nicht wußte, war der Umstand, daß die Bibliothekarin Lortz schon seit vielen Jahren tot ist und die Bibliothek, die er an jenem Tag betreten hat, ebenso schon lange umgebaut wurde. Mit dieser verwirrenden Realität wird er aber konfrontiert, als ihn eines Abends plötzlich ein hünenhafter Bibliothekspolizist besucht und ihm mit dem Tod droht, sollte er die Bücher nicht bis zu einem Stichtag zurückbringen können.

Durch die beiden AA-Mitglieder Naomi und “Dirty Dave”, der stets Sam’s Papier zum Müll bringt und dieses Mal auch die Bücher irrtümlich versorgt hat, gelingt es ihm aber schließlich das seltsame Zeiträtsel zu lösen und die Bücher gebraucht in DesMoines erneut zu kaufen und zurück zu geben. Während dieser Zeit erfährt er auch, daß “Dirty Dave”, alias Dave Duncan, seinerseits einst der versteckte Geliebte von Lortz war und sie kein menschliches Wesen darstellt, sondern nur ein ab und an erwachendes, insektenhaftes Monster, das einen Rüssel aus dem Gesicht stülpt und damit die Angst von Kinder aussaugt. Ihr Ziel wäre es gewesen, aus ihrem Ruheversteck zu erwachen, Sam’s Körper zu übernehmen und erneut Kinder auszusaugen, wie sie es einst schon einmal gemacht hat.

“Die Kreatur war ein fettes, nacktes Ding mit Armen und Beinen, die in scherenähnlichen Klauen zu enden schienen. Unter dem Hals hing ein Fleischsack wie ein aufgedunsener Kropf. Dünne weiße Fasern wirbelten um den Körper. Es hatte etwas gräßlich Insektenhaftes an sich und plötzlich schrie Sam innerlich stumme, atavistische Schreie, die sich an seinen Knochen entlang auszubreiten schienen.”

Außerdem muß sich Sam eingestehen, daß er als Kind einst von einem Mann vor einer Bibliothek vergewaltigt wurde, als sich dieser ebenso als Bibliothekspolizist ausgab. Sam schafft es, die inzwischen zu einer Figur verschmolzenen Ängste zu überwinden und stopft der monsterähnlichen Lortz in der finalen Konfrontation in der Bibliothek einen Ball aus roter Lakritze in den Rüssel, woraufhin dies erst einmal deaktiviert wird. Die Lakritze wird dabei zu seiner persönlichen Waffe, da er diese eng mit seinem traumatischen Kindheitserlebnis verbindet.

Allerdings gelang es Lortz noch, sich während des Kampfes in Naomie “einzunisten” und erneut hilft der Lakritzeball: ihn hält Sam nämlich an die Stelle der Hirnanhangdrüse und “saugt” das Geschwür heraus und wirft es vor einen fahrenden Zug. Es versteht sich beinahe von selbst, daß offen bleibt, ob Lortz nun wirklich tot ist oder nur wieder einmal schläft oder sich woanders einnistet. In jedem Fall endet die Novelle relativ kitschig: Dave stirbt in der Konfrontation mit Ardelia und Sam und Naomie verlieben sich.

Mein Fazit

In vielerlei Hinsicht rezitiert sich King wieder einmal selbst. So liest Naomi etwa die Liebesromane von Paul Sheldon (aus “Sie“), Maisfelder und die dadurch verursachten Geräusche sind ebenfalls wiederum ein Element des Grauens (vgl. “The Stand“) und vor allem anderen kommen immer wieder Elemente von “Es” vor: so heißt der Bibliothekar des Antiquaraits von DesMoine, wo sie die Bücher erneut gebraucht kaufen, etwa Mike (wie Mike Hanion aus Es), immer wieder nennt King das Monster “es” und last but not least, schläft es auch zwischen seinen Monsterphasen.

Wie auch in vielen anderen Romanen von King üblich, etwa in “Desperation“, braucht das Monster auch stets ein “zuhause” bzw. eine Hülle, in die es sich platzieren kann, um zu überleben (im einfachsten Fall ein Tier). Ein weiteres, immer wieder auftauchendes Motiv, der Alkohol, ist auch dieses Mal präsent, wie schon in “Shining“.

Verbindungen

Verbindung: “Es” (schlafendes Monster)
Verbindung: “Langoliers” (4 Novellen)
Verbindung: “Jahreszeiten” (4 Novellen)
Bibliographie

Zeitraffer

Ein paar Worte vorweg

Ebenso wenig innovativ wie der Bibliothekspolizist ist auch die zweite Novelle “Zeitraffer” aus dem gleichen Band. In diesem Fall geht es um eine etwas variierte Geschichte zu “Das Bild“, welches ein paar Jahre später erscheinen sollte. Nur ändert sich in diesem Fall nicht ein Ölgemälde, während eine Geschichte voranschreitet und die Figur sogar schließlich ins Bild “geht”, sondern eine Kamera schießt sich verändernde Bilder und der Inhalt “geht” schließlich in die reale Umgebung. Im weitesten Sinne geht es also i.W. um Wahrnehmung und Grenzen der Wahrnehmung.

Eine ebenso große Nähe besteht darüber hinaus zu “In einer kleinen Stadt“, spielt die Geschichte doch in unmittelbarer Nähe zum kleinen Vampirgeschäft, welches King im Nachfolgeroman ebenfalls in Castle Rock entstehen ließ. Im Prinzip könnte man es sogar als Vorarbeit zum ein Jahr später erschienen Roman sehen.

King selbst holt in seinem Vorwort etwas aus und legt der Geschichte seine Motivation zum Schreiben an sich zugrunde:

“Was ich mache, das mache ich aus den ernsthaftesten Gründen: Liebe, Geld, Bessessenheit. Die Geschichte des Irrationalen ist der geistig gesündeste Weg, den ich kenne, um der Welt Ausdruck zu verleihen, in der ich lebe. Diese Geschichten haben mir als Instrument für Metapher und Moral gleichermaßen gedient; sie bilden auch weiterhin das beste mir bekannte Fenster zu der Frage, wie wir die Welt wahrnehmen, und der ganz entscheidenden Frage, wie wir uns auf der Grundlage der Wahrnehmung verhalten. Diese Fragen habe ich innerhalb der Grenzen meiner Begabung und Intelligenz so gut ich konnte erforscht. … Kurzgeschichten und Romane sind maßstabsgetreue Modelle dessen, was wir lachend das ‘wirkliche Leben’ nennen, und ich bin der Überzeugung, die Leben, die in Kleinstädten gelebt werden, sind maßstabsgetreue Modelle dessen, was wir lachend ‘Gesellschaft’ nennen. … Ich habe schon in Carrie angefangen, damit zu experimentieren, und mit Brennen muß Salem auf einer ambitionierteren Ebene damit weitergemacht. Aber erst mit Dead Zone habe ich meinen Rhythmus gefunden. Das war, glaube ich, die erste meiner Geschichten um Castle Rock (und Castle Rock ist in Wirklichkeit nur die Stadt Jerusalem’s Lot ohne Vampire). In den Jahren, seit ich sie geschrieben habe, ist Castle Rock in zunehmendem Maß zu ‘meiner Stadt’ geworden.”

An dieser Stelle möchte ich nur am Rande darauf hinweisen, daß ich – wie an meinen Rezensionen auch erkennbar – “Brennen muß Salem” nicht als Fort- sondern als Rückschritt zu “Carrie” gesehen habe und mit seinen moralischen Aussagen oder Quengeleien rund um Gott, Beten und allem Drum und Dran habe ich nicht nur Probleme, sondern finde sie meist einfach lächerlich.

Aber das ist eben meine Meinung, offenbar sieht das der Autor selbst genau umgekehrt. In jedem Fall erklärt King im Vorwort ausladend, daß er keine Geschichten mehr von Castle Rock erzählen will und der im Folgejahr erscheinende Roman “Needful Things” der krönende Abschluss und diese Novelle der Übergang zu diesem Abschluss sein wird. Am Rande sei hier nur erwähnt, daß King – entgegen seinen damaligen Vorstellungen – noch viele Castle Rock Romane schrieb.

Worum geht es?

Im Mittelpunkt von “Zeitraffer” steht (wieder einmal) ein kleiner Junge namens Kevin Delevan. Er wünscht sich zum 15. Geburtstag eine Polaroid Sofortbildkamera “Sun 660″, die er auch bekommt (und die auch real käuflich erwerbbar war). Die ersten Bilder überraschen die Geburtstagsdelegation jedoch: denn sie zeigen immer das gleiche, einen Hund, der an einem weißen Zaun entlangstreicht. Vor lauter Schrecken fällt Kevin die Kamera aus der Hand und wird zudem leicht beschädigt.

Zur Reparatur sucht er den lokalen Trödler Reginal ‘Pop’ Merrill auf. Dieser kann die Kamera zwar nicht reparieren, sieht in ihr aber eine enorme Geldquelle für an Mysteriösem interessierte Käufer. Kevin erkennt aber langsam das Muster in den Bildern, welche sich schrittweise verändern und sieht die weitere Folge voraus, in welcher sich der immer gruseliger werdende Hund umdreht und den Fotographen der fiktiven Bilder anfällt. Bestätigt wird er schließlich endgültig in seinen Befürchtungen, als der Hund auf den Bildern plötzlich eine seiner Krawatten trägt, in deren Nähe er sie abgelegt hat. Er beschließt deshalb, die Kamera zu vernichten und glaubt dies auch erfolgreich zu tun.

Pop hat die Kamera allerdings vertauscht und eine Kopie zerstören lassen. Beim Versuch, sie zu verkaufen, trifft Pop allerdings immer stärker auf Probleme, da sie niemand erwerben will. Bei jeder Vorführung schießt er ein neues Bild und nähert sich so dem unausweichlichem Ende, bei welchem der Hund den Fotografen anfällt. Der Händler ist schließlich so besessen von der Kamera, daß er sie allein nicht mehr zerstören kann.

Kevin ahnt in der Zwischenzeit immer stärker, daß die Kamera in Wirklichkeit nicht vernichtet wurde und versucht Pop aufzuhalten. In der finalen Gegenüberstellung in Pop’s Laden “Emporium Galorium” (welcher in seinem Grundsatz leidlich dem späteren Geschäft von “In einer kleinen Stadt” ähnelt), kann Pop nicht aufhören Bilder zu schießen, welche von immer massiveren Geräuschen und Lichtern begleitet werden. Beim letzten Bild zerschmilzt die Kamera schließlich, Pop stirbt und aus dem finalen Kameraschuß beginnt sich der Hund nun in der Realität zu entwickeln und aus dem Polaroid zu quetschen. Als dies vollbracht ist und Kevin dem Höllenhund gegenübersteht, schießt er erneut ein Foto (mit einer anderen Kamera) und der Hund ist gebannt.

Mein Fazit

Ein weiteres Schoßhündchen à la “Cujo” ist damit wieder einmal geweckt und wieder eingeschläfert worden. An vielen Stellen scheint King bei dieser Geschichte jedoch schon bei “In einer kleinen Stadt” zu sein, denn zahlreiche Figuren wie Polly Chambers oder Alan Pangborn beginnen mit fortschreitender Geschichte immer wieder aufzutauchen.

Immerhin ist nach dem entledigten Händler Pop im Anschluss allerdings Platz in Castle Rock frei, um das echte Gruselgeschäft  aus “In einer kleinen Stadt” zu eröffnen. Übrigens endet die Novelle wieder einmal ziemlich fad: Vater und Sohn gehen nach Haus und ein Jahr später bekommt er einen Textcomputer und dieser druckt plötzlich einen seltsamen Text, nämlich, daß der Hund wieder auf freiem Fuß ist und hinter ihm her sei. *Gähn*

Verbindungen

Verbindung: “Das Bild” (Abbild / Realität)
Verbindung: “In einer kleinen Stadt” (Krämergeschäft)
Verbindung: “Langoliers” (4 Novellen)
Verbindung: Castle Rock (Zyklus)
Verbindung: “Jahreszeiten” (4 Novellen)
Bibliographie