Novellensammlung Rezension “Frühling und Sommer” von Stephen King (1982), aus: Jahreszeiten

Bei „Jahreszeiten“ handelt es sich um eine Novellensammlung von Stephen King mit insgesamt 4 Teilen. In diesem Band ist die Hälfte der Novellen veröffentlicht, welche durchwegs ohne überirdische Elemente auskommen. Im zweiten Teil, „Herbst und Winter„, kommen immerhin ein paar Gruselelemente vor. Insgesamt vielleicht keine großen Meisterwerke, aber durchaus besser als manch anderes Buch der 1990er Jahre.

Stephen King “Frühling und Sommer” (1982), aus: "Jahreszeiten", CropTop

Stephen King “Frühling und Sommer” (1982), aus: „Jahreszeiten“, CropTop

Einführung

Stephen King “Frühling und Sommer” (1982), aus: "Jahreszeiten", Buchdeckel

Stephen King “Frühling und Sommer” (1982), aus: „Jahreszeiten“, Buchdeckel

Nachdem Stephen King in “Langoliers“/”Nachts” (1990) mehrfach auf diese, etwas ältere Kurzgeschichtensammlung verwiesen hat, habe ich sie nun ebenfalls gelesen. Wie auch schon in der eingangs genannten Kurzgeschichtensammlung hat es der deutsche Heyne-Verlag verstanden, einen gewissen Mehrwert aus der Sammlung zu schlagen, indem er sie unter zweimal veröffentlicht hat: die Hälfte hat es dabei in den ersten Band “Jahreszeiten, Frühling und Sommer” geschafft, der Rest in den zweiten “Jahreszeiten, Herbst und Winter“.

Ihnen allen gemein ist, daß Horror- oder Gruselelemente weitgehend fehlen – ein Umstand der mich aber keineswegs gestört hat, da ich diese Teile ohnehin in den meisten Romanen eher lächerlich gefunden habe. Nichtsdestotrotz sind die Kurzgeschichten deshalb nicht zwangsweise lesenswert. Im Unterschied zu zahlreichen anderen Romanen dieser Zeit, d.h. der 1990er Jahre, sind die Geschichten aber doch etwas mehr lesenswert”er”.

Frühlingserwachen: Pin-up

Intro

Die erste Geschichte überrascht zunächst dadurch, daß sie in Ich-Form erzählt wird – eine durchwegs seltene Form bei King (ich kann mich soweit eigentlich an gar keine Geschichte erinnern, die er so erzählt hat). Und als nächstes ist auch das Handlungssetting, nämlich weitgehend ein Gefängnis, auch eher selten, kreist King doch normalerweise um Familienidyllen, die er schrittweise auseinander nimmt.

Worum geht es?

Im Mittelpunkt steht Red, ein zu lebenslänglicher Haft verurteilter Sträfling des Gefängnis Shawshank/Maine, der seine Zeit weitgehend damit verbringt – relativ harmlose – Dinge für die Insassen zu “besorgen”, um ihr Leben hinter Gittern etwas erträglicher zu gestalten: Zigaretten, Brandy oder Marihuana – wenn ein Insasse etwas Derartiges braucht, ist Red sein Mann. Vor diesem Hintergrund ist die Geschichte zunächst primär durch den über weite Strecken eintönigen Alltag und die Gefängnisrituale geprägt, denen die Insassen ausgesetzt sind.

Red wurde mit 20 Jahren zu 3x Lebenslänglich verurteilt, nachdem er für eine Lebensversicherung seine Frau mittels Manipulation an ihrem Wagen ermordete, leider allerdings auch gleich eine Nachbarin mit ihrem Sohn. Red erzählt aber vor allem die Geschichte eines weiteren Insassen, nämlich Andy Dufresne, ein Banker, der für den Mord an seiner Frau und ihrem Geliebten zu Lebenslänglich verurteilt wurde. Zum Zeitpunkt der Erzählung hat Red bereits rund 40 Jahre in Shawshank verbracht und sich weitgehend mit seinem Schicksal abgefunden. Ganz anders Andy, der sich durch seinen Optimismus und seine Bildung von den anderen Insassen abhebt und angibt, den Mord nicht begangen zu haben, für den er verurteilt wurde.

Ab 1950 schafft es Andy, sich mehr oder minder durch einen Zufall bei den Wärtern beliebt zu machen, indem er beginnt ihre Steuerbelege für sie zu optimieren und ihr Geld anzulegen, während er zugleich die Bibliothek übernimmt. Dadurch hat er vor Schlägereien und Anzüglichkeiten anderer Gefangener weitgehend Ruhe und kann eine Zelle für sich sein eigen nennen. Die Jahre vergehen und Andy beginnt immer mehr seinem Hobby der Geologie nachzugehen und mit einem kleinen Gesteinshammer (den Red ihm besorgt hat), Steinchen zu bearbeiten und sogar kleine Formen herauszuarbeiten.

Eines Tages erfährt Andy von einem Mitgefangenen, daß dieser möglicherweise den wahren Mörder seiner Frau und ihres Geliebten in einem anderen Gefängnis kennen gelernt hat und ersucht die Anstaltsleitung dem Umstand nachzugehen. Diese verfolgt das Ganze jedoch kaum und nimmt ihm damit die Chance auf frühzeitige Entlassung bzw. einen erneuten Prozess. Enttäuscht verfolgt Andy parallel dazu einen anderen Plan. Vor seiner Verurteilung konnte er Geld auf die Seite schaffen und eine zweite Identität “Peter Stevens” mit Hilfe eines Freundes anlegen. Auf diese kann er jedoch erst zugreifen, wenn er entlassen wird, wobei der Schlüssel zum befreienden Bankschließfach auf einer Wiese unter einem Vulkanstein liegt. Sollte er jemals die Möglichkeit dazu haben, das Gefängnis zu verlassen, sollte ihn Red in einer Stadt namens Zihuatanejo an der Grenze von Mexiko suchen, wo er unter der neuen Identität lebe.

Red nimmt ihn nicht ernst, ahnt jedoch nicht, daß Andy schon seit Jahren mit dem kleinen Gesteinshammer ein Loch in die meterdicke Wand bohrt und mittels eines Plakates verdeckt. Schließlich schafft er es über die daran angeschlossenen Abwasserkanäle zu fliehen und wird nie gefasst. Red seinerseits sitzt seine Haft ab und wird Ende 1977 entlassen. Nach 38 Jahren von Anhörungen wurde schließlich seine Entlassung genehmigt und er nimmt sich ein Zimmer in Portland. Von dort macht er sich auf den Weg zur Wiese und findet auch tatsächlich den Stein mit einem Brief von Andy. Da er ohnehin mit seiner neuen Freiheit wenig anzufangen weiß, beschließt er Andy nach Mexiko zu folgen. An dieser Stelle endet die Geschichte auch, offenbar konnte er die Grenze nie übeschreiten.

Mein Fazit

Insgesamt ist die Geschichte flüssig und mehr oder minder interessant geschrieben – allerdings ist es auch gleichzeitig eine Story, die man irgendwie nicht wirklich im Gedächtnis behält. King hat offenbar noch einige andere Elemente eingeflochten – so befindet sich offenbar Castle Rock nicht weit entfernt, da Red’s Verurteilung in einer dortigen Zeitung genannt werden soll und zufälligerweise heißt (einer) der Anstaltsleiter des Gefängnis “Hanion” wie der Bibliothekar aus “Es“. So romantisch die Flucht irgendwie scheinen soll, war mir nicht restlos klar, wie ein Insasse, dessen Entkommen relativ zeitnah festgestellt wird und der keine “normale” Klamotten dabei hat, so reibungslos funktionieren soll. Aber bitte, glauben wir’s halt mal.

Verbindungen

Verbindung: “Nachtschicht” (Kurzgeschichten)
Verbindung: “Langoliers“/”Nachts” (4 Novellen)
Verbindung: “Jahreszeiten, Herbst und Winter” (zweiter Teil)
Verbindung: Castle Rock Zyklus
Bibliographie

Sommergewitter: Der Musterschüler

Intro

Diese Geschichte hat mich irgendwie nachdenklich gestimmt. Im Kern beschäftigt sich King darin mit der Rezeption des Nationalsozialismus in den USA und die Nachdenklichkeit entstammt weniger dem Link zur NS-Zeit, sondern der etwas seltsamen Rezension durch die US-amerikanische Brille. Stellenweise habe ich mich gefragt, ob die Amerikaner den zweiten Weltkrieg und die Greuel der Nazis wirklich so sehen oder ob es nur eine furchtbare Überzeichnung ist.

Worum geht es?

Dieses Mal steht ein amerikanischer Junge namens Todd Bowden im Mittelpunkt. Er ist quasi ein “All-american boy” mit seinen 13 Jahren, sieht gut aus, stammt aus einem guten Elternhaus, hat gute Noten und hat auch ansonsten keine Mängel oder großartigen Probleme. Bis er eines Tages durch alte Magazine in der Garage eines Freundes auf die Nazi-Zeit stößt und von Anfang an fasziniert ist. Seine Faszination speist sich vordergründig aus den Grausen der Konzentrationslager, Experimente an Menschen und allen anderen Obszönitäten, die diese Zeit anzubieten hat.

Sie führt ihn auch schließlich zu einem Nachbarn, hinter dessen Pseudonym Arthur Denker er den ehemaligen deutschen Lagerkommandanten aus Patin, Kurt Dussander, entlarvt. Mit dieser Information geht er jedoch nicht zur Polizei, sondern besucht Dussander und zwingt ihn, ihm vom Lager zu erzählen. Der Alkoholiker und Kettenraucher Dussander versucht zwar im ersten Moment auszuweichen, beginnt aber schließlich mitzuspielen und erzählt Todd in epischer Breite von allen seltsamen Erlebnissen dieser Zeit. Er geht sogar soweit, eine von Todd mitgebrachte SS-Uniform anzuziehen und damit im Haus herumzustolzieren.

Mit der Zeit werden aber beide regelrecht krank von den gemeinsamen Erzählungen. Todds Eltern glauben, er würde dem sehschwachen Pensionisten vorlesen, während seine Noten durch zunehmende Schlafprobleme immer mehr in den Keller rasseln. Um dies zu verdecken und seine drohende Nicht-Versetzung zu verschleiern, schickt er Dussander zu seinem Elternvertreter und dieser ersucht, noch eine Weile abzuwarten. In den kommenden Wochen drillt Dussander Todd und lernt mit ihm jeden Tag, bis die Noten schließlich besser werden.

Scheinbar ist damit das Tief überwunden, doch in Wirklichkeit fängt es erst an. Obwohl der Kontakt zwischen beiden nach vier Jahren intensiver Gemeinsamkeiten nämlich allmählich nachlässt, beginnen beide unabhängig voneinander Obdachlose zu ermorden. Dussander lockt sie mit einem Angebot in seine Küche und ersticht sie, während Todd ebenfalls massenhaft Opfer findet und sie mit einem Zimmermannshammer schlägt. Parallel dazu wird er zum Schul-Superstar, einem Top-Athleten und allgemein anerkannten Mitschüler. Bei beiden sind die Morde eine Art Schlafmittel, wenn sie von den Erzählungen zu sehr Alpträume bekommen. Beide haben Spaß an den Morden und sie nützen sie, damit sie “aufleben”.

Das ganze Lügengerüst beginnt aber auch ebenso parallel zu brökeln. Dussander hat nach einem seiner Morde einen Herzanfall und holt Todd, damit dieser ihm die Leiche vergräbt und einen Notarzt holt. Im Krankenhaus trifft er zufälligerweise auf einen Ex-Häftling aus dem KZ, der ihn erkennt und der Polizei meldet. Bevor diese ihn verhören kann, schafft es Dussander Medikamente zu schlucken und begeht damit Selbstmord. Auch Todds ehemaliger Lehrer trifft zufällig auf seinen “echten” Großvater und erkennt in einem Zeitungsartikel in der Nazigröße Dussander den “falschen”, welcher ihn einst besuchte. Als er Todd zur Rede stellen will, erschießt dieser ihn und begibt sich zur Autobahn, wo er wahllos auf fahrende Autoinsassen zu schießen beginnt, bis er fünf Stunden später weggeholt wird. Beide Leben sind damit zerstört.

Eine kleine Verbindung hat King zwischen den beiden Novellen hergestellt, indem er Dussanders Vermögen auf einen Banker zurückführt, der für einen Mord an seiner Frau im Gefängnis sitzt – ganz offenbar handelt es sich dabei um Andy Dufresne aus der ersten Novelle. Der Ort der Handlung ist jedoch gänzlich woanders, nämlich im sonnigen Santo Donato in Kalifornien. Ansonsten hatte ich mit der Handlung so meine Probleme. Es mag sein, daß die Nationalsozialisten zahlreiche ethische Verbrechen begingen, dies war aber in vielen Diktaturen der Fall und ist es auch heute noch. Warum dies als Motiv genommen wird, um es zur Faszination zu erheben, werde ich nie verstehen. Selbst seriöse gemeinte Dokumentationen verherrlichen oftmals indirekt das ganze Regime mit seinen kranken Auswüchsen und geben ihm einen irgendwie “coolen”, “grauslichen” Touch, der die Morde und Verbrechen in den Hintergrund stellt und sich stattdessen mit den Details von Experimenten beschäftigt, sie wie bei einer Autopsie auseinandernimmt und fasziniert unter dem Mikroskop betrachtet.

Ganz abgesehen davon, daß es jetzt nicht sehr wahrscheinlich ist, daß NS-Verbrecher und NS-Opfer zeitgleich (!) nebeneinander in einem Krankenhaus weit entfernt vom Ort des Verbrechens liegen und sich außerdem wieder erkennen. Genauso wenig kann ich nachvollziehen, daß die Faszination der NS-Verbrechen zum Nachahmertum anregen kann. Der Geschichtenstrang ist so gezogen, daß quasi Todd in die Morde, Lügen und verquerten Gedanken “hineinschlittert”, aber warum sollte er das tun? Das von King gezeichnete Motiv, sich irgendwie von Dussander “anstecken” zu lassen, kann kein wirklicher Ansatz sein. Und der Umstand, daß die Polizei inkl. NS-Kriegsverbrecher-Verfolger beide relativ schnell durchschaut, ist auch nicht besonders glaubhaft dargestellt. Dementsprechend lässt King letzteren auch darüber sinnieren, welche Relation die beiden hatten bzw. haben:

“Ich frage mich, ob nicht gerade die Grausamkeiten, die Dussander begangen hat, die Basis der Beziehungen zwischen den beiden bildeten. Das ist natürlich kein sehr schöner Gedanke. Was in den Lagern passierte, dreht einem noch heute den Magen um. So geht es auch mir, obwohl der einzige nahe Verwandte, den ich in den Lagern hatte, mein Großvater war, und der starb schon, als ich erst drei Jahre alt war. Aber was die Deutschen taten, übt vielleicht auf uns alle eine Art tödliche Faszination aus – es erschließt die tiefsten Abgründe unserer Phantasie. Vielleicht besteht ein Teil unseres Grauens und Entsetzens darin, daß wir insgeheim wissen, daß wir unter den richtigen – oder falschen – Umständen selbst bereit wären, solche Lager zu bauen und das Personal dafür zu stellen. Vielleicht wissen wir, daß unter den richtigen Umständen die Dinge, die in diesen Abgründen unserer Phantasie leben, nur allzu gern herauskriechen. Und wie würden sie wohl aussehen? Wie lauter verrückte Führer mit einer Haarsträhne in der Stirn und schwarzem Oberlippenbart, die dauernd Heil schreien? Wie rote Teufel oder Dämonen oder wie ein Drache mti stinkenden Fledermausflügeln. … Ich glaube, die meisten würden wie ganz gewöhnliche Buchhalter aussehen. … Und einige von ihnen könnten wie Todd Bowden aussehen.”

Mein Fazit

Bei allem Respekt, aber gerade als Nachfahre von Flüchtlingen aus diesem ganzen Wahnsinn, kann ich eine derartige Verniedlichung nicht nachvollziehen. Um zum “Nazi” zu werden, bräuchte es meiner Meinung nach schon mehr als einen erzählenden Opapa mit seinem Einfluss und selbst wenn ein Irrer auf einen zweiten trifft und sie sich verwirklichen, hat das nur wenig mit der NS-Zeit zu tun. Irgendwie finde ich die ganze Geschichte deshalb einfach nur oberflächlich und banal, auch wenn ich fürchte, daß viele US-Amerikaner wohl diese verquerte Sicht auf den Nationalsozialismus haben (wie vermutlich auch viele nicht-Amerikaner).

Verbindungen

Verbindung: “Nachtschicht” (Kurzgeschichten)
Verbindung: “Langoliers“/”Nachts” (4 Novellen)
Verbindung: “Jahreszeiten, Herbst und Winter” (zweiter Teil)
Verbindung: “The Green Mile” (Todesstrafe)
Bibliographie